Mind Setting: Taking Space – Giving Space!

Bevor ihr diesen Text lest, lade ich euch ein, aufrecht zu sitzen, mit weitem Brustkorb (nicht militärisch angespannt, sondern so, dass ihr gut atmen könnt), die Händen unter dem Tisch, nach oben gedreht und mit dem Handballen gegen die Tischplatte drückend und gern mit einem Bleistift zwischen den Zähnen, die Spitze von euch weg zeigend. Haltet diese Stellung beim Lesen. Ich komme darauf zurück.

Raum nehmen ist eine Kompetenz. Sie geht Hand in Hand mit Raum geben. Nur wer seinen eigenen Raum kennt und bestimmt, wird in der Lage sein, darauf einzugehen, was andere Personen brauchen, darauf zu reagieren, aber auch Grenzen zu setzen. Es ist ein Spiel und ständiges Austarieren. Aber was heißt das?

Das spannende an Raum ist ja, dass er durch Akteur*innen wie mit einem verborgenen Netzwerk überzogen wird, dass er ein lebendes System ist. Jede Bewegung verändert den Abstand zwischen Menschen und Objekten und bringt damit eine andere Situation hervor. Jede Haltung – noch so klein – verändert notwendigerweise den Raum um uns und in uns. Nehme ich mehr Raum ein, hat jemand anders weniger Raum, nehme ich weniger ein, haben andere mehr. Werde ich „unsichtbar“, kann die andere Personen scheinen. Das ist so offensichtlich, dass  wir normalerweise nicht darüber nachdenken und es unserer Aufmerksamkeit entgeht, wie sehr sich unsere Wahrnehmung verändert und die Konstellation im Raum wechseln. Offensichtlich aber nicht simpel. Weil in dieser Erkenntnis ein Schlüssel zur wirklichen Begegnung und zum wirklichen Dialog, zur Aktivierung von Gruppen und Entwicklung von Führungskraft liegt.

Ich möchte wieder ein Beispiel aus der Musik bringen. In der Gruppe zu improvisieren heißt zunächst, das eine Gruppe von Musiker*innen mit ihren unterschiedlichen Instrumenten zusammenkommen. Sie sind Expert*innen. Die Kunst ist nun im Moment gemeinsam Musik zu komponieren. Schnell merkt mal, dass es nicht darum geht „richtige Töne“ und Harmonien zu erschaffen, sondern Vorder- und Hintergrund auszutarieren oder gleichberechtigte Töne miteinander verschmelzen zu lassen, Dissonanzen auszuspielen und und und. Zentral ist aber immer: wer nicht entschieden bspw. Hintergrund spielt, kann niemand den Vordergrund überlassen. Das Gebilde wir unstabil. Wenn zwei in den Lead gehen, wird „verhandelt“: was braucht die Musik gerade?

Vordergrund und Hintergrund gibt es auch im Gespräch oder in Meetings, wenn ich moderiere oder lehre. Es ist wichtig, in spezifischen Situationen für sich selbst zu entscheiden, eine Intention zu formen und dann auf Ganze zu hören.

In Meetings macht es zudem einen Unterschied, wie ich den Raum (Tische Stühle oder Online Board) gestalte und mich damit im Raum platziere. Es macht einen Unterschied, wie ich dasitze, ob ich den Laptop vor mir habe, wer schreibt und ob ich innerlich die Haltung habe: ich bin verantwortlich, ich muss machen, ich muss erklären, ich muss entscheiden. Oder: ich frage, ich höre zu, ich habe Vertrauen, dass die Gruppe das regelt. Entsprechend werden die Menschen im Raum ebenfalls eine Haltung annehmen. So wie eben Platz ist. Oder wir nehmen denselben Platz – dann müssen wir verhandeln. Inner states are reflected in outer states and vice versa. Inner States beeinflussen, wie ich was höre und aufnehmen kann. Sie beeinflussen dadurch meinen Handlungsspielraum – und damit den von allen anderen.

Deshalb ist es super hilfreich, sich vor und auch in Situationen sehr klar zu machen, was macht eigentlich mein Körper, wo bin ich verspannt, wie sind meine Schultern etc. und wie würde es sich anfühlen, wenn ich wohlwollend und entspannt ganz ehrlich jemandem Wertschätzung ausspreche. Denn das beeinflusst unsere Fähigkeit auch wirklich wohlwollend zu sein. Noch besser ist natürlich, das zu erforschen und zu üben, um sich selbst in die Haltung zu versetzen: mind setting.

Das bringt mich zum Anfang zurück. Habt ihr durchgehalten? Diese „Übung“ ist dem Artikel „Social Embodiment“ von Lawrence Barsalou entliehen. Der Artikel gibt einen Überblick darüber, wie eng soziale und emotionale Konzepte und kognitive Performanz und Körper mit einander verwoben sind und agieren. Hände nach oben gedreht generiert in unserer Kultur generell positive Stimmung („uplifting“), die Öffnung der Brustkörper, Aufmerksamkeit, der gespitzte Bleistift, Fokus.[i] Theoretisch bleibt euch nun jeder Satz des Blogs im Gedächtnis hängen. 😉 Oder ihr habt eine Verspannung in Schulter und Nacken – auch eine Information.

Wie dem auch sei: es braucht schon ein recht hohes Maß an Selbstwahrnehmung, um zu wissen, wie ich da sein will und wie ich gerade da bin. Die gute Nachricht – ist alles Übung und macht Spaß!


[i] vgl. Lawrence Barsalou et.al. „Social Embodiment.“ The Psychology of Learning and Motivation: Advances in Research and Theory, vol. 43, Academic Press, 2003, pp.43-92 .


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