Sich Raum nehmen, ganz ohne Vorbehalt und Nervosität oder Angst, mit dem Bewusstsein und Gefühl, dass es sich völlig ok anfühlt. Das ist ein Thema, das für mich und viele Menschen, mit denen ich arbeite, nicht selbstverständlich ist. Gerade, wenn es um Führung und Selbstführung, Rollenklärung und Abgrenzung mit Verständnis und Freundlichkeit geht, um klare Kommunikation und Konflikte ist Raum nehmen eine zentrale Kompetenz.
Was bedeutet also „sich Raum nehmen“?
Am deutlichsten wird es mir, wenn ich singe oder performe. Ich habe einen ausgesprochenen Faible für Frauenrollen in der Oper, die weder lieblich noch schön sind. Ich liebe Frauen, die leidenschaftlich, stark, behauptend, manchmal auch rachsüchtig und verzweifelt sind.
Solche Rollen kann ich nicht singen, wenn ich eingesunken bin, wenn ich versuche, möglichst wenig Platz einzunehmen oder leise zu sein. Die Rolle braucht ihren Platz – und zwar genau ihren Platz. Nicht zu viel nicht zu wenig, sondern genau den richtigen Raum, um zum Ausdruck zu kommen und zu kommunizieren. Dieser Raum kommt mit der Haltung, die durch Zielsetzung und Intention, Emotion und Plan gespeist werden. Das Spannende ist, dass es ein Wechselspiel ist: indem ich diese Haltung einnehme, kann ich sie singen. Indem ich singe, nimmt die Haltung mich ein.
Gleichzeitig ist das Einnehmen dieses Raum auch wichtig für alle anderen, die mitwirken: wenn ich meinen Raum nicht nehme, lass ich alle anderen hängen. Mein Raum nehmen hat dann auch etwas mit Durchlässigkeit zu tun. Eine Durchlässigkeit für die Wahrnehmung des tatsächlichen geteilten Raums – für das Publikums, die Mitspieler*innen und Musiker*innen. Was passiert vor, neben, hinter mir. Denn schließlich geht es um das jetzt: darum gemeinschaftlich musikalisch zu agieren, die Menschen zu erreichen und in den Zauber einzufangen. Das kann und darf aber nicht heißen, dass mein Raum kollabiert, um den anderen entgegenzukommen. Im Gegenteil, wenn ich meinen Raum nicht aus-spiele, wird das Zusammenwirken instabil.
Diese Komplexität des Raums ist ganz leicht auf meine alltägliche Arbeit als Trainerin und die Arbeitsrealität jeder Person mit Führungs- und Kommunikationsaufgaben übertragbar. Es gilt mit dem ganzen Körper da zu sein und Ziele und Intentionen so zu halten, dass sie auch die Ziele der Gruppen oder Einzelner voranbringen können.
Natürlich sprechen wir also nicht nur vom physischen Raum und tatsächliche Ausdehnung des Körpers darin: denn natürlich kann unser Körper größer und kleiner werden und mehr oder weniger Platz einnehmen. Darum geht es schon auch, aber nicht nur.
Vielmehr hängt Raum von unserer Haltung im doppelten Sinne ab und geht über die Grenzen des Körpers hinaus. Die Körperhaltung kann ausgreifend, offen, respekt-gebietend, frei, zugewandt … (setzen Sie gern selbst ein) sein. Sie korrespondiert mit der inneren Haltung: Fühle ich mich raum-greifend (im Englischen nütze ich den sehr schönen Begriff „spacious“), offen, respektvoll, frei, … ? Und ist mir mein Raum drum herum bewusst? Wie kann ich das erreichen?
Warum also ist Raum ein so zentrales Thema? Weil die Fokussierung auf Raum, unmittelbar und direkt auf die Gesamtheit des Menschen verbindet: Geist/Kognition, Emotion, Embodiment/Haltung.
Arbeit im und mit Raum – wörtlich und metaphorisch – ist wichtig, damit Klarheit der Intention, Kommunikation (Sprechen, Gespräch, Vortrag und mehr), Körper (Embodiment) Hand in Hand gehen, um Alltagssituationen und Herausfordernde Situationen als (Selbst)Führungskraft mit mehr Entspannung (Confort) und Leichtigkeit (Ease) und kollaborativ zu meistern.
Ganz praktisch heißt das: ich erkenne die Zusammenhänge bei mir und kann sie verändern!
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